Gemeinschaftliches Testament – so eindeutig, so zweideutig
Formulierungen in Testamenten, insbesondere gemeinschaftlichen Testamenten, sind leider oftmals weniger eindeutig als sich die Eheleute dies gewünscht haben. Diese Ungenauigkeiten kommen im Erbrecht häufig vor; bei gemeinschaftlichen Testamenten wirken sich Fehler allerdings besonders schwer aus, denn einer ihrer Hauptwesenszüge ist, dass sog. wechselbezügliche Verfügungen Bindungswirkung entfalten. Wechselbezüglich ist eine Verfügung dann, wenn der eine Ehegatte seine Verfügung nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen hätte und die Verfügungen deshalb miteinander stehen und fallen sollen. Problematisch ist die Wechselbezüglichkeit vor allem bei der sogenannten Schlusserbeneinsetzung. Das ist die Einsetzung (meistens der Kinder) auf den zweiten Erbfall, also den Tod des Längerlebenden.
Ob eine einzelne Verfügung wechselbezüglich ist oder nicht, ist im besten Falle im Testament selbst angegeben. Fehlt aber eine solche Angabe (wie meist), so ist diese durch Auslegung zu ermitteln. Liegt die Wechselbezüglichkeit vor, tritt eine weitreichende Bindung ein, deren Folge den Erblassern oft nicht bekannt ist: der überlebende Ehegatte kann nach dem Tode des anderen Ehegatten nämlich keine Verfügung mehr treffen, die die wechselbezügliche Verfügung beeinträchtigt – nach dem Tode des einen Ehegatten ist das Testament dann insoweit bindend geworden ist. Es empfiehlt sich aus diesem Grunde dringend, einen mit dem Erbrecht vertrauten Rechtsanwalt bei der Abfassung des Testamentes zu Rate zu ziehen.
Das Oberlandesgericht Hamm hat am 11. September 2015 einen Fall entschieden, dem ein Testament zweier Eheleute zugrunde lag, das folgende Formulierung enthielt:
„Nach dem Tode des Letztversterbenden soll die gesetzliche Erbfolge eintreten.“
Zusätzlich gab es eine so genannte Pflichtteilsstrafklausel. Es stellt sich nun die Frage, ob diese Verfügung wechselbezüglich und damit bindend war. Das OLG Hamm verneinte dies und sah in dieser Formulierung keine bindende Schlusserbeneinsetzung. Zur Begründung stellt das Gericht zunächst fest, dass eine ausdrückliche Anordnung der Wechselbezüglichkeit nicht vorlag. Es prüfte deshalb weiter, ob sich die Wechselbezüglichkeit eventuell durch Auslegung ermitteln lässt. Maßgebendes Ziel bei der Auslegung ist immer die Ermittlung des Willens des Erblassers, der anhand von Anhaltspunkten festgestellt werden muss.
In diesem Fall bot das Testament nur zwei Anhaltspunkte für den Willen des Erblassers: der eine war der Verweis die gesetzliche Erbfolge, der andere die Pflichtteilsstrafklausel. Betrachtet man jede einzelne dieser Regelungen für sich, so kommt man nach Auffassung des Gerichts nicht zu einer bindenden Schlusserbeneinsetzung. Insbesondere das Wort „soll“ sei mehrdeutig, sagt das Gericht und beginnt etwas, das oftmals als „typisch juristisch“ und als das größte Vergnügen des Anwalts, insbesondere im Erbrecht, bezeichnet wird: die Zerlegung eines einzelnen Wortes. Im juristischen Sprachgebrauch meint dieses Wort nämlich, so das Gericht, ein erwünschtes Verhalten ohne hierbei jedoch ein zwingendes Gebot zu sein. Im umgangssprachlichen Sinne jedoch kann „soll“ auch als zwingende Anordnung verstanden werden. Eindeutig ist das Wort damit nicht und weitere Anhaltspunkte für die Vorstellungen der Eheleute, die sie bei Abfassung ihres Testamentes gehabt haben könnten, ließen sich nicht finden – insbesondere auch keine außerhalb des Testamentes. Das Gericht gelangt daher zu dem Schluss, dass die Schlusserbfolge nicht bindend festgelegt wurde, denn der Erblasser hatte das Testament im Übrigen sprachlich sehr exakt abgefasst und war als Beamter des Auswärtigen Dienstes konsularisch geschult, so dass ihm die gesetzliche Erbfolge und der juristische Gebrauch durchaus bekannt gewesen waren. Es handelt sich hierbei nach Ansicht des Gesetzes lediglich um den Hinweis auf die von Gesetzes wegen ohnehin eintretende gesetzliche Erbfolge und nicht um eine gewillkürte Erbeinsetzung nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge.
Für alle Fragen rund um das Thema Erbrecht stehe ich Ihnen als Rechtsanwalt jederzeit zur Verfügung.
OLG Hamm, Beschluss vom 11. September 2015,15 W 142/15