Gesetzliche Erbfolge
Stirbt der Erblasser ohne testamentarische Regelung, so bestimmt das Gesetz für ihn, wem der Nachlass in der Sekunde des Todes angefallen ist, denn kein Nachlass darf in Deutschland herrenlos sein. Die Regelungen zur sogenannten gesetzlichen Erbfolge sind von enormer Praxisrelevanz, denn immerhin 70 % der Deutschen versterben ohne Testament. Die gesetzliche Erbfolge folgt drei grundlegenden Prinzipien:
Prinzip: Einteilung in Ordnungen
Das grundlegende Verständnis der gesetzlichen Erbfolge beginnt mit der Einteilung der potentiellen Erben in sogenannte Ordnungen. Eine Ordnung bestimmt sich dabei immer nach dem Grad der Abstammung vom Erblasser. Ein Grundgedanke des BGB ist es, das Erbe immer in die jüngere Generation zu tragen. Zu Erben der ersten Ordnung zählen daher die Abkömmlinge des Erblassers, also Kinder oder Enkelkinder – nichteheliche oder adoptierte Kinder stehen ehelichen Kindern vollständig gleich, zur zweiten Ordnung die Eltern des Erblassers bzw. deren Abkömmlinge, also beispielsweise Geschwister, Neffen und Nichten.
Prinzip: “Das Gut rinnt mit dem Blut”
Was dieser altdeutsche Spruch treffend auf den Punkt bringt, ist das folgende: Erben der näheren Ordnung schließen Erben entfernterer Ordnungen vollständig aus, d.h. wenn auch nur ein Erbe der ersten Ordnung vorhanden ist, kommen Erben der zweiten Ordnung nicht zum Zug. Ein Kind des Erblassers schließt also alle anderen Verwandten von der Erbfolge aus; der Sohn des Erblassers verdrängt den Enkel, der Vater die Geschwister usw. Dies ist die praktische Anwendung des ersten Prinzips, der Einteilung nach Ordnungen. Ist der nach dem Gesetz berufene Erbe bereits verstorben, treten seine Abkömmlinge „nach Stämmen“ an seine Stelle: also statt des Sohnes die die Enkel, die sich den ursprünglichen Erbanteil des Sohnes zu gleichen Quoten teilen. Erst wenn keine Abkömmlinge mehr vorhanden sind, schlägt die Erbfolge die umgekehrte Richtung ein, also die ältere Generation (Eltern) kommt zum Zuge. Sind diese bereits verstorben, erben wiederum deren Kinder, also die Geschwister des Erblassers bzw. deren Abkömmlinge. Wichtig: Der Ehegatte zählt nicht als Verwandter! Deswegen: das Gut rinnt mit dem Blut.
Prinzip: Der Ehegatte bestimmt die Höhe der Erbquoten
Wurde mit beiden eben genannten Prinzipien erörtert, wer Erbe wird, muss nun geklärt werden, wer bei mehreren Erben in welcher Höhe erbt. Die Höhe der einzelnen Erbanteile hängt von mehreren Faktoren ab, nämlich dem Grad der Verwandtschaft, der Zahl der Miterben und vor allem dem Ehegatten ab. Bevor nämlich die Erbanteile der Verwandten berechnet werden können, muss zuvor die Erbquote des überlebenden Ehegatten ermittelt werden. Dies ist nicht ganz unkompliziert: Der Ehegatte erbt nämlich neben Kindern/Enkeln ein Viertel, neben Erben der zweiten Ordnung (Eltern/Geschwister) die Hälfte. Diese „Grunderbquote“ wird erhöht, wenn die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebten, also keinen Ehevertrag vor einem Notar geschlossen haben. In diesem Fall erhält der überlebende Ehegatte zusätzlich zu seiner „Grunderbquote“ ein weiteres Viertel als pauschalierten Zugewinnausgleich. Eine weitere Besonderheit des Ehegattenerbrechts: der Ehegatte hat die Möglichkeit, die Erbschaft auszuschlagen und den Zugewinn tatsächlich so zu berechnen, wie wenn am Todestag die Ehe geschieden worden wäre. Seinen eingangs erwähnten Erbteil behält der Ehegatte in diesem Fall ausnahmsweise trotzdem! Diese Möglichkeit kann taktisch eingesetzt werden, aber empfiehlt sich natürlich nur, wenn der Zugewinn sehr viel höher ist als das kraft Gesetzes zugewandtes Viertel des pauschalierten Zugewinnausgleichs. Unterbleibt wie im Regelfall eine solche Ausschlagung, erbt der Ehegatte also neben den Kindern (allen Kindern des Erblassers und nicht nur der gemeinsamen!) insgesamt ein halb, neben Eltern oder Geschwistern insgesamt drei Viertel des Nachlasses. Die weitverbreitete Meinung, wenn keine Kinder aus der Ehe hervorgegangen wären, würde der überlebende Ehegatte den gesamten Nachlass erhalten, ist also falsch!
Lebten die Ehegatten dagegen im Güterstand der Gütertrennung (der nur durch notariellen Ehevertrag begründet werden kann), entfällt die Erhöhung um ein Viertel als pauschaliertem Zugewinnausgleich. Der überlebende Ehegatte erbt also neben Erben der zweiten Ordnung (Eltern/Geschwistern) ein halb, neben Abkömmlingen zu gleichen Teilen, mindestens jedoch ein Viertel. (Beispiel: sind zwei Kinder des Erblassers vorhanden, erben der überlebende Ehegatte und die beiden Kinder zu je einem Drittel, ist nur ein Kind vorhanden, erben beide je zur Hälfte.)
Lebten der Erblasser und der überlebende Ehegatte beim Tod bereits in Scheidung (also war das Trennungsjahr bereits abgelaufen und der Scheidungsantrag gestellt), entfällt das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten und damit auch der Pflichtteilsanspruch.
Ein Beispiel soll die Anwendung dieser drei Prinzipien verdeutlichen:
Der Erblasser hinterlässt eine Ehefrau; Kinder sind nicht vorhanden. Es leben noch die Mutter und ein Bruder des Verstorbenen. Der Verstorbene war mit seiner Frau im gesetzlichen Güterstand (Zugewinngemeinschaft) verheiratet. Zu ermitteln ist zunächst der Erbanteil der überlebenden Ehefrau: Sie erhält, da Erben der ersten Ordnung (also Kinder) nicht vorhanden sind, neben den Erben der zweiten Ordnung (Mutter sowie Bruder) zunächst ein halb als Basiserbteil, zusätzlich ein Viertel als pauschalen fiktiven Zugewinnausgleich im Todesfall, sofern sie nicht ausschlägt. Ihre Erbquote beläuft sich also auf gesamt drei Viertel. Das restliche Viertel teilt sich auf unter den Erben der zweiten Ordnung. Die Mutter lebt noch und erhält daher die Hälfte davon (die andere Hälfte hätte der Vater erhalten), d. h. ein Achtel. Der Vater ist bereits verstorben, hat jedoch einen Abkömmling (Bruder des Erblassers) hinterlassen, so dass letzterer das weitere Achtel erhält. Es bildet sich also eine Erbengemeinschaft, an welcher der überlebende Ehegatte zu drei Vierteln, die Schwiegermutter zu einem Achtel und der Schwager zu einem weiteren Achtel beteiligt sind. Ein solches Ergebnis ist natürlich nicht wünschenswert, denn in solchen Konstellationen sind Meinungsverschiedenheiten oft vorprogrammiert!